Interview: „Architekten haben oft keine echte Freiheit“
Folgende Themen erwarten Sie in diesem Artikel
Forderung nach neuen Rahmenbedingungen
Herr Lunkenheimer, Architects for Future fordern neue Lösungen für den Bausektor, die vorteilhaft für das Klima, die biologische Vielfalt, die Gesundheit und die soziale Gerechtigkeit sind. Wo sehen Sie hierfür die größten Herausforderungen?
Ein großes Problem ist, dass Architekturschaffende oft keine echte Freiheit haben, sich für die umweltfreundlichste Alternative zu entscheiden. Sie stehen stattdessen unter engen finanziellen oder systemischen Zwängen. Daher richtet sich ein wichtiger Teil unserer Arbeit auf die Politik, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die nachhaltiges Bauen erleichtern.
Wie möchten Sie die Politik und Baubranche für nachhaltige Themen sensibilisieren?
Wir möchten alle Aktiven in der Baubranche auf ihre Verantwortung am Klimawandel aufmerksam machen. Wir appellieren an alle, ihre Handlungsspielräume zu nutzen, um eine lebenswertere Zukunft mitzugestalten. Dies geschieht durch öffentliche Auftritte, Beiträge in sozialen Medien und Vernetzungstreffen in Ortsgruppen.
Community und Coworking Space in zirkulärer Bauweise: Impact Hub Berlin im CRCLR-House. (Quelle: LXSY Architekten/Foto: Studio Bowie)
Potenziale für die Ressourcenschonung
Wie lassen sich denn bei einem Bauvorhaben am sinnvollsten Ressourcen einsparen?
Am effektivsten können Ressourcen eingespart werden, wenn komplett auf einen Neubau verzichtet wird! Es sollte daher immer geprüft werden, ob der Zweck eines Gebäudes auch ohne materialintensiven Neubau erfüllt werden kann – etwa durch die Mitnutzung, den Umbau oder die Sanierung von Bestandsgebäuden.
Und wo sehen Sie das größte Potential bei Materialien für eine nachhaltige Bauwende?
Das größte Potenzial im Hinblick auf nachhaltigen Materialien sehe ich persönlich bei Dämmstoffen aus schnell nachwachsenden Rohstoffen wie zum Beispiel Stroh, Hanf, Schilf oder Seegras. Und dies aus zwei guten Gründen: Die dringlichste Herausforderung, um den Fußabdruck des Gebäudesektors zu senken, besteht bei der Senkung des Heizwärmebedarfs von Bestandsgebäuden aus der Nachkriegszeit. Durch die energetische Sanierung dieser Gebäude kann mit geringem Materialeinsatz ein großer Nutzen für das Klima geschaffen werden. Wählt man hierbei Materialien biologischen Ursprungs wird zusätzlich CO2 der Atmosphäre entzogen und dauerhaft gebunden.
Jonathan Lunkenheimer von Architects for Future (Quelle: Jonathan Lunkenheimer)
Kreislaufwirtschaft für zukünftiges Bauen
Welche Strategien für mehr Ressourceneffizienz sehen Sie im Hinblick auf die Architektur für die Zukunft?
Neben der Strategie bevorzugt nachwachsende Rohstoffe einzusetzen ist es besonders wichtig, eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Gerade dort, wo es aus technischen Gründen nicht sinnvoll ist, biologische Materialien zu wählen, muss die hochwertige Wiederverwendung von Bauteilen ermöglicht werden. Dafür sollten Bauteile zerstörungsfrei voneinander getrennt werden können und es bedarf neuer Geschäftsmodelle, um den Zugang zu gebrauchten Bauteilen zu erleichtern. Wir würden es sehr befürworten, wenn Hersteller von Möbeln und anderem Innenarchitekturbedarf ihre Produkte zurücknehmen würden, um diese überarbeitet wieder auf den Markt zu bringen.
Jonathan Lunkenheimer ist Gründungsmitglied von Architects for Future, lehrt an der TH Köln und forscht zu nachhaltigen Baumaterialien. Auf der Trend Stage der kommenden interzum wird er am 10. Mai 2023 die Vereinigung Architects for Future vorstellen und über klimapositives Bauen sprechen.